Andere Geschichten

Im Grünen

Wir wollten mal raus ins Grüne. Franz hat sich ein Auto geliehen und wir haben gelacht, weil es innen so sauber war. Dann sind wir los.
Haben wir einen Plan?, frage ich und Franz sagt: Glaub nicht. Ich hab nur Kopfweh von gestern Nacht.

Nach ein paar Stunden ohne Plan, aber mit Kopfweh, sitzen wir schließlich am Wasser auf einem schmalen Streifen Grün. Direkt hinter uns ist ein kleiner Weg und der Parkplatz vom Strandbad Caputh. Menschen steigen in ihre Autos und rufen nach ihren Kindern, ein Hund kommt vom Weg ab und schnüffelt uns an den nackten Füßen. Der Hund heißt Ronny. Ronny sieht traurig aus, weil sein Herrchen ungehalten „bei Fuß“ brüllt und dann hinter unserem Rücken mit ihm schimpft. Continue reading „Andere Geschichten“

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Sturm
In der Nacht hatte es einen Sturm gegeben. Er hatte an den Fenstern gerissen und sich erfolglos an den Dachschindeln versucht, schließlich die kranke Kastanie gefällt, sie über den Zaun und tief in den Rasen dicht ans Nachbarhaus gedrückt. Dicht, aber nicht dicht genug, um etwas zu zerstören.
Durch die Fenster sah Anjas Rosenbeet aus, als wäre er mit dem neuen Rasenmäher darüber gefahren. Und es hatte die braunen Blätter vom Rasen in alle Winde geweht.  Gut, dachte er.
Als er vor die Haustür trat, war die Luft schwer von Erde und Zerstörung und er witterte Maßlosigkeit. Unbändig leichtfüßig schritt er über die Tonscherben, die auf dem gewundenen Kieselweg unter den Sohlen knirschten. Auf dem Bürgersteig säumten herausgerissene Blumen die Beerdigung umgekippter Mülltonnen der Nachbarschaft. Ihr Inhalt erbrach sich über das Pflaster.
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Andere Geschichten

Querleben

Liebst Du mich, fragte sie und sie fragte es immer wieder. Sie fragte es morgens nach dem Aufwachen und abends vor dem Einschlafen, sie fragte es zwischen zwei Bissen von ihrem Teller, zwischen zwei Tabletten, zwischen zwei Seiten ihrer Lektüre und auf dem Kopfkissen in der Nacht zwischen zwei Träumen. Sie fragte es, ohne auf seine Antwort zu warten oder seine Antwort zu erwarten.

Es war wie ein Zwang und dieser hatte sich in ihren gemeinsamen Alltag gefügt, wie eine Zutat zu einem ihrer Kuchen. Eine Zutat, die nicht im Rezept stand, aber nach all den Jahren aus ihrem Teig nicht mehr wegzudenken war. Dachte er.

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Die Nische

In der Nische unter der Treppe kauert er, wartet, dass es aufhört da oben. Das Kinn zwischen den Knien bewegen sich die Füße, schaukeln ihn hin und her, ohne Pause seitdem er sitzt und wartet.
Manchmal kommt jemand vorbei. Er hört Schritte, erkennt die Person hinter dem Klackern, Knirschen, Schlurfen, bevor er sie sehen kann. Die Schuhe, eine Mülltüte oder eine Handtasche. Er ist gut darin und er weiß, was sie wissen, was sie denken. Er weiß, sie hören es, so wie er, wenn das Schaukeln aufhört. Und er hasst sie dafür. Continue reading „Andere Geschichten“

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Sortie

Ich will Dir etwas erzählen. So wie immer in all den Briefen über die Jahre, die ich schrieb, anstatt zu reden, weil wir noch nie redeten und uns auch sonst nicht verstanden. Von Anfang an nicht. Erinnerst Du Dich, wir blieben sprachlos seit dem Beginn.
Die anderen am Tisch waren laut und sie lachten um uns herum. Wir waren uns gegenüber und still. Du hast Dein Weinglas gedreht und wir haben zugeschaut, wie das Rote die Ränder benetzte. Beim Trinken hast Du den Kopf nach hinten gestreckt und dabei hast Du mich angesehen. Ich habe nichts gefühlt, außer dass ich wusste, dass wir zusammen ins Bett gehen würden an dem Abend. Ich wusste nur nicht, wie es sein würde. Continue reading „Andere Geschichten“

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Pläne

Ich sehe Sten an der Ampel, mein Herz klopft, obwohl ich ihn kaum wiedererkenne. Er hat dieselbe Jacke an wie damals, aber längeres Haar und einen Bart. Ich überlege, wie lange es her ist. Ein sehr langes Jahr.
Oft habe ich gehofft, ihn zu treffen. An der Kasse im Supermarkt, im Antiquariat, über dem er wohnt, an der Ampel oder beim Bäcker. Aber ich habe jetzt einen anderen Rhythmus als früher, denke ich, und schaukele den Kinderwagen vor mir, in dem das Kind endlich schläft. Wenn ich auf Stens Platz am Küchentisch sitze, höre ich manchmal noch sein fremdes Klingeln an der Tür. Aber jetzt ist es immer bloß der Postbote oder die Müllabfuhr.
Damals hatten Sten und ich eine Abmachung. Wenn Sten neben mir herging, seine großen Füße den Staub der Jahreszeiten aufwirbelten, setzte sie sich in den Vierklang unserer Schritte und auf den Takt unserer Wege, die wir nicht planten, uns stattdessen auf ihnen treiben ließen. Entlang der Seen in der Umgebung oder durch die Kneipen der Stadt, von seiner Wohnung zu meiner, zwischen unseren Sätzen oder in den Sitzen der Kinos, deren Filme kommentarlos an uns vorbei rauschten. Kein Plan lautete die Abmachung. Keine Ernsthaftigkeit, keine Realität, keine Dramatik, kein Zwang. Einfach unkompliziert. Continue reading „Andere Geschichten“