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Ich will Dir etwas erzählen. So wie immer in all den Briefen über die Jahre, die ich schrieb, anstatt zu reden, weil wir noch nie redeten und uns auch sonst nicht verstanden. Von Anfang an nicht. Erinnerst Du Dich, wir blieben sprachlos seit dem Beginn.
Die anderen am Tisch waren laut und sie lachten um uns herum. Wir waren uns gegenüber und still. Du hast Dein Weinglas gedreht und wir haben zugeschaut, wie das Rote die Ränder benetzte. Beim Trinken hast Du den Kopf nach hinten gestreckt und dabei hast Du mich angesehen. Ich habe nichts gefühlt, außer dass ich wusste, dass wir zusammen ins Bett gehen würden an dem Abend. Ich wusste nur nicht, wie es sein würde.

Ich muss Dir etwas erzählen. Es ist schön, es gefällt mir, aber es wird Dir nicht gefallen. Wie all die anderen Briefe, die Dir nicht gefielen und auf die Du nie reagiert hast zwischen Tür und Angel. Meine unbeantworteten Briefe voller Hoffnung. Unbeantwortet, als hätte ich sie in den Ausguss geflüstert, hinunter durch die Rohre der Pariser Kanalisation bis in die Katakomben. Aber ich habe nicht geflüstert. Ich habe geschrieben all die Jahre.
Ich legte die Briefe wie zufällig oben auf Deine Hemden, die Du Dir zurecht legtest, um sie für die Woche weit weg von mir einzupacken. Dein ewiges Packen, wie ich es hasste. Du wusstest, wie Du packen musstest, damit ich mich unwohl fühlte. Und ich weiß jetzt, wie ich es sagen muss, damit Du Dich unwohl fühlst.
Ich werde Dir jetzt erzählen, wie gut es mir geht, weil ich nicht mehr warte und weil da jemand ist, mit dem ich rede. Jemand, der auch nicht spricht. So wie Du. Jemand, der ist wie Du. Nur besser, denn wir schweigen verständlich.
Damals habe ich nicht verstanden, dass Du Deine Jacke angezogen hast, als ich mich von der Runde verabschiedete. Du hast die Hand gehoben und gesagt: Ich gehe mit.
Wohin mit, habe ich gedacht und mich gefragt, wie Du aussehen wirst ohne Jacke, ohne Hemd, nur Du in Deiner Haut.
Draußen vor dem Restaurant habe ich sehr langsam geraucht, bis Du „Alors“ sagtest. Wusstest Du, dass man nur dann „Alors“ sagt, wenn es noch viel zu tun gibt? Und es gab viel zu tun.
Wir sind zu Dir gegangen. Deine Wohnung war wie Du, ohne Worte und ohne Zeichen. Als Du in mir kamst, warst Du bedacht, nichts von Dir zu zeigen, außer dem Teil von Dir, den ich schon gesehen hatte. Ich habe auf mehr gehofft, gewartet und aufgepasst. Die ganze Nacht. Die ganzen Jahre.
Als ich am Morgen nach Hause ging, habe ich über mich gelacht. Das mit Dir war mir noch nie passiert.
Warum, habe ich mich später gefragt, warum bin ich wieder und wieder zu Dir gegangen und habe gewartet?
Vor der Tür wartete ich, bis Du aufdrücktest. Die Treppe nahm ich mit schnellen Schritten, als hätte ich es nicht erwarten können, Dich zu sehen. Dann in Deiner Wohnung mit der Matratze auf dem Boden und den flatternden Vorhängen wartete ich auf den Tee oder auf Wein, manchmal auf eine Tütensuppe und immer auf Dich. Wir haben geraucht und Jacques Brel sang „Ne me quitte pas“ und ich wartete darauf, dass es vorbei geht. Es kam mir lächerlich vor, Paris und Brel, Zigaretten und Du. Und trotzdem. Ich bin nicht gegangen. Ich gefiel mir mit Dir. Du hast mir gut gestanden damals.
Jetzt nicht mehr. Jetzt schreibe ich Dir, dass ich gegangen bin. Wenn Du nach Hause kommst, hoffe ich, dass Du wartest. Nur, damit Du mich ein einziges Mal verstehst.