berliner szenen

Gesäßtaschenträger, wie?
Kolumne Berlin Viral

Ich sitze mit Maske am Tresen bei einem Handydoktor am Rathaus Steglitz und warte darauf, dass mein altes Handy einen neuen Akku bekommt. Während ich warte, will ich zweimal meinem Impuls folgen, mein Handy aus der Tasche zu ziehen und durch die sozialen Netzwerke zu scrollen, um die Wartezeit zu überbrücken. Geht ja nicht, stelle ich zweimal fest. Das Handy ist grad in Behandlung.

Ich sitze aber gern hier. Es ist warm, die drei Doktoren hinterm Tresen sind ziemlich lustig und schnell in ihren Analysen, arbeiten und suchen mit Pinzetten winzige Teilchen, während sie mich unterhalten. Andauernd kommt einer rein und erzählt eine Geschichte über sein Handy. Die Geschichten passen zu den Besitzern.

Einer, der auffallend müde und etwas träge aus der Wäsche guckt, sagt: „Also meins geht immer aus und fährt nicht mehr hoch.“

Der Oberarzt zieht eine Augenbraue in die Höhe und sagt: „Gesäßtaschenträger, wie?“ Der Junge fühlt sich ertappt. „Na ja, kann schon mal passieren.“

„Krumm wie ’ne Banane. Da hat sich echt alles verzogen“, zeigt der Oberarzt und schüttelt bedenklich den Kopf. „Ist genauso, als würdest du immer nur auf dem Sofa chillen. Wirste auch krumm.“ Der Junge guckt betroffen. Ein anderer steht verwirrt im Laden herum. „Wie kann ich helfen?“, fragt der jüngste Doktor. „Also, mein Handy fuhr runter und nicht wieder hoch, hab es 24 Stunden geladen, aber es geht nichts mehr.“ Er reicht das Handy herüber, auf dem sich das Display in die Höhe hebt.

„Du magst dein Leben nicht, ne?“, sagt der jüngste Doktor. Stille, alle gucken ihn an. Der Oberarzt übersetzt: „Was er meint, ist, der Akku ist gequollen, das sieht man von hier aus schon, und wenn du das dann ewig lädst, ist es gefährlich.“

„Wie“, sagt der Typ. „Na, es fliegt dir um die Ohren.“ Der dritte Doktor, wahrscheinlich der Chefarzt, schaltet sich ein: „Bist so’n Fauler, ne? Lädst es immer über Nacht?“

„Hm schon“, sagt der Junge. „Davon kriegste den Akku auf sicher kaputt. Nie länger dranhängen als nötig, am besten nur am Tag.“

„Ach, das wusste ich auch nicht“, sage ich. „Ja, hier lernste was fürs Leben“, sagt der Chef und lacht. Etwas weiter neben mir steht inzwischen einer in grüner Wachstuchjacke, von denen ich dachte, sie wären seit den 1990ern ausgestorben. Das Telefon klingelt. Der jüngste Doktor geht ran und sagt: „Wie? Ja, da müssen Se sich an Apple TV wenden. Nee, da kann ich nix machen. Ein Probeabo müssen Se bei denen kündigen, nich bei uns.“ Wachstuchjacke und ich müssen lachen.

Der junge Doktor legt auf und sagt: „Wieder’n Anruf für ’ne Reality-Show. So wie letztens. Da stand einer vorm Regal im Kaufhaus, ruft uns an und fragt: Können Sie mir sagen, welche Handyhülle ich kaufen muss?“ Wir lachen wieder. „Echt wahr, im Lockdown ist es noch schlimmer geworden“, meint der Chefarzt jetzt, „was da für Fragen kommen. Da brummt mir am Abend so der Kopf, dass ich nicht mehr weiß, wie meine eigene Frau heißt.“

Er grinst: „Hab’s mir zum Glück auf den Arm tätowiert.“ Er hält seinen linken Unterarm hoch und zeigt einen geschwungenen Schriftzug.

Ich grinse. „Super Spickzettel.“ Er nickt: „Stimmt. Und wenn ich älter werde, kommt noch mehr dazu: Geburtstage, Hochzeitstage, wenn ich dement werde, noch die Adresse und wie ich heiße.“

Alle lachen. Die Wachstuchjacke sagt: „Hätte gedacht, die Reihenfolge ist genau andersherum, erst die Namen und Geburtstage der Kinder und dann ganz am Ende der Name der endgültigen Frau.“ Ich sehe ihn von der Seite an, und der Chefarzt sagt: „Kannste mal sehen. Das ist eben der technische Unterschied zwischen uns beiden.“

Isobel Markus, Kolumne Berlin Viral der taz, 27.11.2020