Busdating mit Glühwein
Ich fahre im M29er von der Sonnenallee bis zum Anhalter Bahnhof. Ich sitze oben vorn in der zweiten Reihe, vor mir zwei Jungs, die stumm in ihre Handys schauen. Als sie an der nächsten Haltestelle aussteigen, überlege ich kurz, ob ich mich umsetze. Ich habe schöne Kindheitserinnerungen, oben im Doppeldecker direkt hinter der großen Scheibe zu sitzen, mich zu ducken, sobald die Äste der Bäume die Scheibe peitschen, und mich bei jeder Bremsung an die Stange klammern zu müssen. Wenn der Busfahrer hupte, hatten meine Brüder es natürlich kommen sehen, während ich das Kinn auf die Stange legte und die Welt von oben beobachtete. Wie ich noch so überlege, kommt ein Paar den Gang entlang und lässt sich auf die Plätze vor mir fallen.
„Wie toll“, sagt sie, und der Puschel an ihrer roten Mütze wippt. „Wir haben den besten Platz.“
„Und den besten Glühwein“, sagt er. Er trägt einen Schal bis zu den Augen.
Sie kichert. Er holt eine Thermoskanne aus dem Rucksack und reicht ihr einen Pappbecher. „Ich habe dir einen Becher mitgebracht.“
„Danke“, sagt sie und zuppelt an der Maske. Er schenkt erst ihr ein, dann sich selbst. Sie stoßen an. „Auf ein bisschen anderes Date“, sagt er.
Sie lacht. „War aber echt eine gute Idee mit der Busfahrt. Ich war schon steif gefroren. Hier, fühl mal meine Finger.“
Er fühlt die Finger ihrer Hand. Sie entzieht ihre Hand wieder und umklammert den Becher mit beiden Händen. „Schön warm“, sagt sie und fügt hinzu: „Wie weit fahren wir jetzt eigentlich?“
Er zuckt mit den Schultern: „Bis zu Endhaltestelle vielleicht?“
„Und wo ist die?“
„Wittenbergplatz. Keine Ahnung, wo das ist, bin ja erst seit vier Wochen in der Stadt.“ Er lacht. „Aber wir fahren mit dem Bus einfach wieder zurück, dann verirren wir uns nicht.“
Isobel Markus, Berliner Szenen der Taz, 18.11.2020