Warmes Glück mit Max Frisch
Ich gehe sehr gern spazieren. Entweder mit einem festen Ziel vor Augen oder ich gehe einfach nur in der Gegend herum, biege mal hier mal da ab, laufe auf der Sonnen- und mal auf der Schattenseite und lasse mich durch den Bezirk treiben.
In letzter Zeit finde ich bei meinen Spaziergängen immer schöne Sachen. Überall stehen Kartons mit dem Hinweis „Zu verschenken“, weil die Leute gerade Zeit haben, ihre Schränke aufzuräumen. Ich habe also schon ein Kaffeegeschirr und viele Bücher eingeheimst, darunter „Die Dämonen“ von Dostojewski in einer schöneren Ausgabe als meine, Sartres Essay „Baudelaire“ und Watzlawicks „Vom Schlechten des Guten“.
Heute laufe ich ein bisschen weiter hinter den Volkspark. Wieder steht da ein Karton neben ein paar Taschen mit Klamotten, einer halb vertrockneten Palme und einem Wäscheständer. Ich sehe in den Karton und kann es nicht glauben. Im Karton liegt quasi die perfekte Erweiterung meines eigenen Bücherregals. Die mir noch fehlenden Bände von Knausgård, Judith Hermanns Roman „Aller Liebe Anfang“, den ich noch nicht kenne, „Drei Frauen“ von Musil, die Gesamtausgaben von Joseph Roth und Max Frisch. Ich bekomme warme Glücksgefühle und will sie alle. Der Weg nach Hause ist weit, die Bücher sind nicht gerade leicht, aber egal, denke ich und hebe den Karton auf meinen Kopf.
Ein paar Meter die Straße entlang bin ich eine überglückliche Büchersammlerin. Da höre ich eine Stimme hinter mir: „Eh! Hallo, sorry, aber das ist unser Karton.“ Ich drehe mich um. Ein Typ steht vor mir. „Das da ist die letzte Kiste vom Umzug.“ Ich setze sie ab, schäme mich, muss lachen, erkläre und entschuldige mich. Er winkt ab. „Meinetwegen hättste die mitnehmen können. Meine Freundin hat echt genug Bücher. Keine Ahnung wo die alle hinsollen.“
Isobel Markus, Berliner Szenen der Taz, 30.05.2020