berliner szenen

Lacher und noch mehr Tumult

Ein Nachmittag bei Karstadt. Ich stehe mit meinem Sohn B. vor den Umkleidekabinen der Herrenabteilung. B. hat einen sündhaft teuren Pullover im Arm, auf den er seit Monaten spart. Er hat dafür Fenster bei meiner Mutter geputzt, geholfen, ein Zimmer bei seinem Vater zu renovieren, und für mich gegen eine Gebühr Saft und Wasser eingekauft. Das alles für einen Pulli mit einer großen Echse. Ich verstehe es nicht, aber das muss ich ja auch nicht. Heute ist also der große Tag der Erfüllung. Da die Farbauswahl noch ein Problem war, bot ich mich an mitzukommen. „Joa“, war die missmutige Antwort und ich habe mich gefreut. Wenn B. und ich unterwegs sind, passieren oft lustige Sachen.

„Geh doch schon“, sagt B. da. „Ich weiß jetzt, welche Farbe.“ Ich grinse schadenfroh. „Nö, ich guck nun schon noch, wie er aussieht.“

Er wirkt gefasst. Es ist natürlich inzwischen peinlich, mit mir gesehen zu werden. Ich habe mich daran gewöhnt, amüsiere mich darüber und ärgere ihn gern etwas mit meiner Anwesenheit. Manchmal drohe ich an, ihn laut bei seinem Kosenamen zu rufen. Wirkt immer.

Die Umkleidekabinen sind voll, also warten wir vor zwei Kabinen inmitten des Verkaufsraums. Plötzlich wird der Vorhang aufgerissen. Ein kleiner nackter Mann steht vor uns. Er hat nur noch Socken und Schuhe an und seine Kleidung in einem Bündel unter dem Arm. Sein Blick ist vorfreudig. Ich sehe interessiert zu, wie der Mann an uns vorbeirennt und nackt durch die Abteilung flitzt. Man hört vereinzelte Schreie und Lacher seinen Weg begleiten, bald noch mehr Tumult.

B. und ich gucken uns an und B. zieht fragend eine Augenbraue hoch: „Ist er hier fertig oder kommt der noch mal wieder?“ „Ich glaub, du kannst jetzt rein“, sag ich. Dann geht B. in die Kabine und probiert seinen Pullover an. 

Isobel Markus, Berliner Szenen der Taz, 25.01.2020