berliner szenen

Frau mit blauer Jacke war’s

Ich stehe in einem fremden Supermarkt und finde alles unlogisch. Zum Beispiel finde ich den Ketchup weder bei den Saucen noch Reisnudeln beim Reis oder bei den Nudeln. Ich sehe mich nach jemandem um, den ich fragen könnte, und packe derweil Schokolade in meinen Einkaufskorb – wo ich schon mal hier bin. Neben mir steht eine Frau, die sich auch für Schokolade interessiert. Sie liest die Zutatenliste, und ich überlege, ob sie weiß, wo der Ketchup steht, entscheide mich aber dagegen. Sie sieht eher nach Tofuortung aus. Ein Mitarbeiter kommt auf uns zu und ruft: „Entschuldigung, aber Sie wurden gesehen, wie Sie den Kakao getrunken haben und ihn wieder ins Regal stellten.“

Die Frau guckt ihn an und dann mich. Ich glaube, uns ist beiden nicht klar, wen er meint. Ich sage: „Ich hasse Kakao.“

„Reden Sie mit mir?“, fragt sie. „Genau mit Ihnen“, sagt der Mitarbeiter und zeigt mit dem Finger auf die Frau. „Eine Frau mit blauer Jacke und schwarzer Hose, wurde gesagt.“ Ich gucke an mir herunter. Blaue Jacke, schwarze Strumpfhose. Die Frau trägt einen blauen Poncho und eine schwarze Hose. „Sie wurden gesehen“, sagt der Mitarbeiter bestimmt. „Bitte kommen Sie mit.“

„Hallo?“, ruft die Frau, „ich war noch nicht mal in der Nähe des Kakaos. Wo steht der überhaupt?“ Der Mitarbeiter guckt mich an und ich sage: „Ich trinke nie Kakao.“

„Folgen Sie mir bitte. Sie müssen den Kakao bezahlen.“ Die Frau lacht einfach bloß und geht um die Ecke. Der Mann folgt ihr. „Wo soll der denn bitte stehen, der Kakao?“, höre ich noch.

Besser ich gehe, denke ich. Bei meinem Glück muss ich sonst am Ende noch den Kakao bezahlen. An der Kasse vor mir steht eine alte Frau. Sie kaut hinter ihrer Maske. Auf einmal ruft sie ganz laut: „Der da mit der grünen Jacke hat ein Brötchen angebissen.“

Und plötzlich ist mir alles klar. 

Isobel Markus, Berliner Szenen der Taz, 7.11.2020