berliner szenen

Telefonieren bei offener Tür

In der Schlange beim Bäcker stehen zwei Frauen mit Mundschutz vor mir. Die eine hat rote Haare und Ohrringe, die bei jeder Bewegung klirren. Die andere hat ihre Haare mit einem Ess-Stäbchen hochgesteckt. Es ist eins dieser Stäbchen, die man durchbrechen muss, bevor man mit ihnen essen kann. Ich überlege, ob sie es benutzt hat, bevor sie es sich in die Haare steckte.

Die Stäbchenfrau erzählt von einem Gespräch im Büro. Sie unterhält die ganze Bäckerei. Ihre Stimme ist schrill. „Und da sagt die doch glatt zu mir: Wenn du noch mal beim Telefonieren deine Tür offen lässt, komm ich zum Telefonieren zu dir in den Raum.“

Die andere guckt in die Auslage: „Ich glaub, ich nehm ein Stück vom Käsekuchen.“

„Ja“, sagt die Stäbchenfrau. „Dann hab ich gesagt: Entschuldige mal, hast du eine Ahnung, wie heiß es in meinem Raum ist? Da knallt die Sonne den ganzen Tag. Ich muss die Tür offen lassen.“

Die Stäbchenfrau guckt die Rothaarige an. Die sagt ruhig: „Willst du auch eins?“

„Meinetwegen“, sagt die Stäbchenfrau unwirsch. „Die hat sie doch nicht alle. Was bildet die sich ein? Ich mein, ich telefonier ja nicht privat.“

Die Rothaarige tritt an den Tresen und bestellt den Käsekuchen. „Ich lad dich ein“, sagt sie zu der Stäbchenfrau.

Die ruft: „Hast du mich überhaupt gehört?“

Die Rothaarige zahlt und sieht der Verkäuferin zu, die den Kuchen konzentriert in Papier einschlägt.

„Hallo?“, ruft die Stäbchenfrau ziemlich aggressiv. Die Verkäuferin guckt auf.

Die Rothaarige sagt leise: „Vielleicht können wir Chefchen ja fragen, ob du einen Ventilator bekommst.“

„Alles klar“, gellt die andere beleidigt. „Also findest du mich auch zu laut beim Telefonieren?“

Die Verkäuferin guckt von der einen zur anderen, reicht das Kuchenpaket hinüber und sagt: „Ich glaub, so’n Ventilator ist ’ne echt gute Idee.“

Isobel Markus, Berliner Szenen der Taz, 17.07.2020