berliner szenen

Oh Mann, ihr seid so peinlich!

Es ist Freitag, und ich stehe beidmvor dem Regal mit den Reisegrößen. ­Übermorgen ist der 1. Dezember, und ich habe das alljährliche Adventskalenderproblem. Als nicht vorausschauende Mutter habe ich vor Jahren begonnen, meinen Kindern Adventskalender selbst zu basteln. Das bedeutet, sich jedes Jahr für zweimal 24 kleine Dinge entscheiden zu müssen, die sie mögen oder wirklich gebrauchen können. Inzwischen ist das aber gar nicht mehr so leicht.

Da die beiden in diesem Jahr bloß entrüstet guckten, als ich vorsichtig fragte, ob sie vielleicht mal einen coolen gekauften Adventskalender haben wollten statt den ollen Säckchen, stehe ich also wie immer vor dem gleichen Problem. Was tu ich nur rein?

Eine Frau mit einem vielleicht 17-jährigen Sohn steht jetzt neben mir. „Geh doch schon zu Papa“, sagt sie mit verdächtig beiläufiger Stimme. Ich vermute, sie will ihn loswerden. Kann ich verstehen. In der Drogerie muss man in Ruhe gucken können. Der Junge verschwindet um die Ecke, und sie sieht sich die kleinen Tuben Duschzeug aus der Nähe an. Dann geht sie ein Stückchen weiter vor die Kondome, und ich denke: Ach so, deshalb.

„Papa ist schon draußen“, höre ich da die Stimme des Sohns wieder. „Jaja, geh doch zu ihm raus“, ruft sie hektisch, aber zu spät. Der Junge steht schon wieder hinter ihr. „Was machst du denn hier?“, fragt er in einer Mischung aus Entsetzen, Ekel und Scham und sieht mit angewidertem Gesicht von ihr zu der Kondompackung in ihrer Hand.

„Das geht dich gar nichts an“, sagt sie, wird aber blöderweise ein bisschen rot. Der Junge ebenso. Er dreht sich um und sagt im Gehen: „Oh Mann, ihr seid so peinlich.“ Ich muss grinsen. Sie schaut mich an und sagt resigniert: „Da sind 18 Stück in der Packung! Das hätte meinen Adventskalender gerettet!“ 
Isobel Markus, Berliner Szenen der Taz, 4.12.2019