Lasst mich doch alle zufrieden
Ich setze mich im Bus vor zwei Jungs, so etwa 16 Jahre alt. Der eine guckt mich komisch an und sagt etwas wie: „Boah, sieht die Kacke aus.“ Ich überlege ziemlich irritiert, ob er etwa mich meint, und ärgere mich über mich selbst, weil es mich ärgert. He, der ist ein Teenager und ich könnte seine Mutter sein, sage ich mir zur Beruhigung. Während wir fahren, bemerkt er hier und da immer mal wieder etwas Gemeines über andere Mitfahrende oder Leute am Straßenrand. Der anderen sagt nichts. Als ein Mädchen in Leggings den Bus betritt und sich in unsere Nähe an die Tür stellt, sagt der Typ hinter mir nicht unhörbar für das Mädchen: „So’n Arsch, aber dann Leggings.“
Ich drehe mich um und gucke ihn an: „Geht’s noch?“, frage ich. Er cool hinter seiner schwarzen Maske: „Was wollen Sie denn?“
„Dass du deine Bemerkungen für dich behältst“, sage ich etwas zu laut und drehe mich wieder nach vorn.
„Ist doch meine Sache“, sagt er und lacht.
Ich drehe mich wieder um und mustere ihn wütend. Er trägt ein Poloshirt mit dem Logo einer teuren Marke an der Brust.
„Und wenn ich sagen würde: ‚Was bist’n du für ein Schnösel‘, und andere Leute teilen dir auch alle naselang ungefragt ihre Meinung über dich mit?“
„Wär mir scheißegal“, sagt der Typ.
„Das glaub ich aber nicht.“ Ich drehe mich wieder nach vorn und komme mir vor wie eine alte Tante. Deshalb gucke ich auch keinen im Bus an.
Als die beiden Jungs aufstehen und zur Tür gehen, sagt das Mädchen in den Leggings zu dem Typen: „Lieber Arsch in’ner Leggings haben, als so’n Arsch zu sein wie du.“
„Ey, lasst mich doch alle zufrieden“, sagt er und geht raus. Irgendwie freue ich mich darüber.
Als das Mädchen an der nächsten Station aussteigt, lächelt sie mich hinter der Maske vielleicht kurz an. Ganz klar ist das nicht.
Isobel Markus, Berliner Szenen der Taz, 30.06.2020